Ein Mann wünscht sich keine Kinder. Weil er ein turbulentes Leben führt. Und weil er sich die Vaterschaft nicht zutraut. Für viele ist das nicht Grund genug. Ein Rechenschaftsbericht
Und ich dachte noch, mit meinem Freund Nick habe es das Schicksal endlich gut gemeint. Jahrelang hatte er sich in dubiose Kurzzeit-Affären verstrickt, doch seit einiger Zeit ist Nick, 45, anhaltend glücklich in Lisa, 39, verliebt. Grandios passen ihre Bedürfnisse zusammen. Er will kein Kind, sie nicht noch eines. Ihre 18-jährige Tochter geht im Sommer zum Studieren nach Kalifornien. Sobald sie aus dem Haus ist, ziehen Nick und Lisa zusammen und heiraten. Sie arbeitet als Managerin in einem Weltkonzern, er ist freiberuflicher Software-Berater und sagt, dass er überall sein Geld verdienen könne. Die beiden sind sich einig: Wird Lisa versetzt, geht Nick mit. Das war der Stand bis letzte Woche. Dann rief er an und sagte: »Es wird eine Familie geben.« Die Idee ging nicht einmal von Lisa aus, sondern von ihm. Aber sie fand die Vorstellung, noch einmal Mutter zu werden, prima.
So geht eine zehnjährige Gemeinsamkeit zu Ende. Seit wir uns kennen, waren Nick und ich uns einig, dass Vaterschaft für uns nicht in Betracht kommt. Er, zwei Jahre jünger als ich, fühlte sich ewig vom Kinderwunsch seiner Partnerinnen bedrängt und mich überforderte schon immer die Vorstellung, eigenen Nachwuchs aufzuziehen. Und jetzt – wieder einer weniger! Schon ist unsere allwinterliche Skiwoche wegen Schnuller-Alarm abgesagt, und die große Wanderung im nächsten Jahr kann ich auch vergessen; Papi will dann zu Hause bleiben. Ebenfalls gestrichen: Lisas Versetzung in ferne Länder und meine Besuche dort. Enttäuschung, Eifersucht, Neid und Ärger bekommen ihre halbe Stunde, dann geht’s wieder: Weil ich so gut mit Nick befreundet bin, sehe ich ein, dass es das Schicksal mit ihm sogar ganz besonders gut gemeint hat. Es geht ja um sein Glück, nicht um meins.
Nick hat wahr gemacht, worüber wir uns immer einig waren: wenn nötig, den Beschluss gegen ein eigenes Kind auch wieder zurückzunehmen. Ich käme mir selbst unglaubwürdig vor, wenn ich kategorisch bei der Behauptung bliebe, nie und nimmer Vater werden zu wollen. Und doch verlange ich Respekt vor meiner gewünschten Kinderlosigkeit; der ist leider nicht selbstverständlich.
Manche Ursachen dafür sind verständlich. Streift etwa ein Partygespräch meine Kinderlosigkeit, stellt sich gleich Befangenheit ein. Aus gutem Grund: Für viele rührt das Thema an ein Tabu, oder es ist zumindest sehr intim. Über Unfruchtbarkeit lässt sich bei Sekt und Häppchen nicht leichthin plaudern. Die meisten wissen, wie sehr Paare an ihrer Kinderlosigkeit leiden können. Im Raum schwebt die Frage: Liegt’s an ihm oder an ihr? Auch nach der Klarstellung, dass ich freiwillig kinderlos bin, interpretieren Wohlmeinende dieses Bekenntnis noch um. Entweder gilt es als Ausflucht – aha, in Wirklichkeit kann also er nicht. Oder es dient zum Liebesbeweis – aha, es liegt an ihr, aber er verlässt sie nicht. Schrecklich. Solche Leute unterwerfen sich einem Reproduktionsgebot, dessen kategorischer Imperativ heißt: Handle immer so, dass die Menschheit überlebt. Und seine Ableitung lautet: Sei, wenn’s nicht klappt, wenigstens edel, und bleib bei ihr.
Doch glücklicherweise verstehen die meisten, dass mein freiwilliger Verzicht auf Kinder ernst gemeint ist. Dann zeigt sich, dass dies zu den Themen gehört, zu denen alle eine Meinung haben. In den Diskussionen der späten siebziger und frühen achtziger Jahre malten wir gerne die furchtbare Zukunft der Kinder mitten in der Ökokatastrophe und nach dem Atomkrieg aus. Jetzt gebe ich es zu: Daran geglaubt habe ich schon damals nicht. Aber die drohende Apokalypse hat ein wunderbares Wir-Gefühl hergestellt. Dann kam der Umschwung: Trotz des Waldsterbens und der Pershing-Raketen begann in meinem linksalternativen Milieu das eifrige Pflanzen von Apfelbäumchen. Jetzt schwappte die Psychowelle durch die Wohngemeinschaften, und es galt, sich der distanzlosen, latzbehosten Jungmütter und -väter zu erwehren, die ihr Nestbauprogramm partout auf ihr gesamtes soziales Umfeld ausdehnen wollten. »Ich-stark und bindungsschwach!«, lautete einmal der vor Zärtlichkeit bebende Vorwurf einer Hochschwangeren an alle Kinderlosen meiner Stadtteilgruppe. Die Frage »Lieber Ich-schwach und bindungsstark?« sorgte nur für ein selbstgefälliges Lächeln.
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Fussball Zu schwach für Europa » Die höhnische Unterstellung »Cabrio statt Kinderwagen« ist jünger, in den neunziger Jahren gegen den Hedonismus jener Zeit entstanden. Dabei fuhren schon damals eine Menge Cabrios mit Kindersitzen rum. Dennoch – die Parole verkauft Elternschaft als Opfer, sie steht für schiere Missgunst. Statt erwünschte Kinderlosigkeit mit daraus folgendem Wohlstand zu akzeptieren, unterstellt sie erwünschten Wohlstand mit daraus folgender Kinderlosigkeit; sie dichtet den konsekutiven Zusammenhang zu einem kausalen um. Natürlich geht es den meisten Kinderlosen finanziell besser, als wenn sie Eltern oder gar Alleinerziehende wären. Schäbig, weil aus Neid gespeist, ist der Spruch dennoch. Er unterstellt materielles Interesse als Triebkraft der Kinderlosigkeit, mit anderen Worten: Geiz.
Auf diese Weise erhalten selbst postmaterielle Werte etwas Ehrenrühriges. Als Vater wäre ich nie das Risiko eingegangen, mit Sack und Pack in die Ostslowakei zu ziehen, um dort unter der wenig appetitlichen Regierung von Vladimír Mečiar vier Jahre lang ein Journalistenbüro zu betreiben. Am Ende stand nicht nur eine zusammenbrechende Fernbeziehung, sondern auch ein ansehnlicher Schuldenberg. Denn schlagartig ließ das Interesse der deutschen Wirtschaftsmedien an Ostmitteleuropa nach, als die Rubel- und die Asienkrise von 1997/98 zu einer scharfen Rezession in allen Boomländern führten. Zugleich degradierte sie meine Auslandserfahrung zur Bedeutungslosigkeit für den deutschen Arbeitsmarkt. Aber va banque zu spielen geht auch weniger spektakulär: Manchmal stecke ich Monate an Vorarbeit in Bücher, die möglicherweise keinen Verleger finden. Oder ich verkalkuliere mich im Zeitaufwand für ein Projekt; dann muss Tag und Nacht geknechtet werden.
Als ich in Hamburg nicht glücklich wurde, bin ich wieder nach Berlin gezogen, um fortan per Intercity zur Viertagewoche zu pendeln. Und so weiter und so fort: Größere und kleinere Katastrophen, die fast zwangsläufig aus einem solchen Leben resultieren, habe ich individuell durchgestanden oder gerade noch der Partnerin zumuten können. Kann sein, dass so etwas auch mit Mutter und Kind geht, aber ich kenne niemanden, dem das gelang. Bereit zu sein, auf materielle Sicherheiten zu verzichten, und Kompromisse möglichst zu vermeiden heißt auch, ein Kind vielleicht im Stich lassen zu müssen – ein zu hoher Preis.
Die schnellen Sprüche über die freiwillig Kinderlosen sind in den letzten Jahren nicht weniger boshaft geworden. Jetzt entstammen sie ironiefrei der sozialpolitischen Agenda. Deswegen räume ich durchaus einen Verstoß gegen den Generationenvertrag ein, aber nur einen kleinen. Denn ich finanziere einen prozentual sehr hohen Anteil meiner Altersversorgung selbst, weil ich lange wenig verdient und wenig eingezahlt habe. Am Ende wird nur eine staatliche Mikrorente dabei herausspringen, wohl weniger als der Betrag, mit dem ich jetzt meine Mutter unterstütze. Übrigens: Gegen die Subventionierung der Kinder anderer Leute in der Renten- und Krankenversicherung sowie über den staatlichen Lastenausgleich habe ich nichts. Wohl aber stört mich enorm, dass ich durch das Steuersplitting auch noch anderer Leute Ehe mitfinanziere.
Alles in allem: Mich ärgert es, mein individuelles Recht auf Kinderlosigkeit immer stärker gegen eine totalitäre, angeblich gesellschaftliche Pflicht zum Kind verteidigen zu müssen. Dabei geht es mir nur um eines: Soweit ich mich zurückerinnere, wollte ich noch nie ein eigenes Kind. Ich habe es mir nie zugetraut. Bis heute besteht meine Vorstellung von Vaterschaft nur aus Pflichten und Gefahren. Das bringt aber keinen Horror hervor, sondern nur Desinteresse. Die Begeisterung von Eltern für ihre Aufgabe macht mich ratlos, obwohl ich sie ihnen gönne. Selbst in tiefen Gesprächen habe ich keine Spur eines verdrängten Wunsches entdecken können, den viele bei mir gesucht, aber nicht gefunden haben. Falls die Unsicherheit von meinen Eltern stammt, haben sie es gut verborgen; meine eigene Kindheit birgt jedenfalls keine auffallenden Schrecknisse. Oder fehlt mir ein Repro-Gen? Die Liste der Negationen lässt sich noch fortsetzen: Vielleicht hätte ich einfach mal eine Vaterschaft als Mutprobe betrachten sollen? Aber deswegen setze ich doch kein Kind in die Welt und zahle noch dafür. Auch nicht, um den Familiennamen weiterleben zu lassen oder um meinen Kontakt zur nächsten und übernächsten Generation herzustellen oder um nicht zu verkauzen oder um Unsterblichkeitsfantasien auszuleben. Wäre ich Buddhist, würde ich vermutlich von Bescheidenheit sprechen. Bin ich aber nicht. Ich fordere nur, dass die Wunschlosigkeit im gleichen Maße respektiert wird wie der Wunsch.
Natürlich verlange ich von meinen Partnerinnen viel, manchmal zu viel. Fast immer hat die Kinderfrage meine Beziehungen beeinträchtigt oder gar zerstört. Einmal versagte die Verhütung, der Konsens überlebte den Termin nur kurz, nachher der Schrei: »Du Mörder meines Kindes!« Ich kenne das argwöhnische Horchen der Frau auf das Ticken der biologischen Uhr, die Bedrückung über den langsam aufziehenden Großkonflikt, das stille Leiden und die Wutanfälle wegen Schwangerschaftsvorenthaltung. Ohne Wunsch, kein Kind – wenn eine Seite dergestalt unnachgiebig ist, behält sie die Entscheidungshoheit, Gift für jede Beziehung. Aber auch wenn sie darunter leidet: Ich kann das Recht am eigenen Kind nicht abgeben.
Nur in Beziehungen mit Müttern ist dieses Problem bisher nicht aufgetaucht. Scheu vor ihren Sprösslingen habe ich nicht. Allerdings: Weil ich viel unterwegs bin und mich schon mal außerhalb meines Wohnortes verliebe, führt dies häufig zur Fernpendelei. Die wiederum bringt es mit sich, dass die Kinder an den Wochenenden, die ungestört bleiben sollen, beim Papa landen. Vielleicht beschreibt »Interesse ohne Verantwortung« mein Verhältnis zu ihnen am besten. Ich traue mir da sogar mehr zu; dies zu testen war bislang allerdings nicht nötig.
Und am Ende? Im schlimmsten Fall muss ich ins Heim; daran würden wohl auch ein Sohn oder eine Tochter nichts ändern. Das hieße allerdings, dass vorher mein letztes großes Projekt gescheitert wäre: ein Altersheim in Selbstverwaltung, entweder in Zakopane am Fuß der Hohen Tatra oder in Palanga an der Ostsee, mit bezahlbaren Preisen für gute Dienstleistungen – Luzern in der Schweiz käme leider zu teuer. Möglich müsste zugleich eine Teilzeiteinsiedelei am Computer sein, um noch ein letztes Lexikon zu schreiben und damit die Rente aufzubessern. Zakopane übrigens, da habe ich schon vorgefühlt, käme in 20 Jahren auch für Nick und Sonja in Betracht. Die beiden Kinder könnten dann zu Besuch kommen und nicht nur die Enkel mitbringen, sondern auch Kuchen für alle.