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 Geburt und alles um den Kreissaal herum
Tanja31 Offline



Beiträge: 498

08.11.2007 12:05
Wie man in Deutschland geboren wird Antworten

Nie war die Zahl der Geburten so niedrig – und der Aufwand vor dem Ereignis so hoch. Nichts bleibt bei der „Operation Nachwuchs“ dem Zufall überlassen. Trotzdem sind die Eltern unsicherer denn je

Jeden Dienstagabend steuert eine kleine Prozession von Paaren das Haus zwölf des Hamburger Heidberg-Krankenhauses an. Hand in Hand, Arm in Arm, steigen sie in den ersten Stock hinauf, wo sie mit aufmunterndem Kopfnicken erwartet werden. Männer zücken Stift und Papier, Frauen umfassen ihren Bauch und werfen einen prüfenden Blick auf die umfangreichen Leiber rechts und links. Es ist kurz nach 19 Uhr, der Informationsabend für werdende Eltern beginnt. Die Geburtsabteilung des Heidberg-Krankenhauses präsentiert sich mit ihrer besten Besetzung: Schwestern, Hebammen und Ärzte werben für ihre Klinik.

Der oberste Geburtshelfer macht den Anfang. Auf seinem weißen Poloshirt prangt ein Pinguin mit dem Namen Dr. Scheele. Der fehlende weiße Kittel signalisiert: Hier wird fachlich kompetent gearbeitet – aber nicht kalt distanziert. Der Gynäkologe spricht von der „Individualität der Geburt“ und den „besonderen Wünschen der Frau“. Die Zuhörer erfahren, dass Heidberg bei den Wassergeburten in Hamburg an der Spitze stehe. Auch der Kaiserschnitt auf Wunsch – „Das darf man heute denken“ – sei möglich. Der wichtigste Grundsatz sei: „Es wird nichts gemacht, was Sie nicht wollen.“

Das hören die Besucher gern – und viele nicht zum ersten Mal. Denn werdende Eltern haben Zeit, viel Zeit. Anders als Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten, die umgehend ins nächstbeste Krankenhaus eingeliefert werden, können die Kreißsaal-Touristen mehr als ein halbes Jahr lang Info-Abende abklappern, die Fahrtdauer von zu Hause zum Hospital stoppen und Hochglanzbroschüren der Kliniken studieren, in denen ihr Kind zur Welt kommen könnte. In Heidberg bei dem sympathischen Oberarzt? Im Krankenhaus in Hamburg-Mitte, wo die Entbindungsstation einem Wellness-Club ähnelt, aber die Kinderintensivstation fehlt? Oder doch eher im Hospital im Westen der Stadt, das künftige Eltern mit einem angeschlossenen Hotel lockt?


„Verwirklichen Sie Ihren Traum!“

Vorausschauende Eltern gehen ins Detail: „Wie sieht es mit dem Parkplatz aus?“, will ein Vater wissen, der seine Frau schon auf dem Rücksitz kreißen sieht, während er das Krankenhaus umrundet. „Keine Angst, die sind für Sie reserviert“, beruhigt Doktor Scheele. „Und was gibt es gegen Schmerzen?“, fragt ein anderer Vater, wohl stellvertretend für seine Frau. Im Angebot stehen Aromatherapie, Homöopathie und Akupunktur und die Rückenmarkspritze, die alle Wehenbeschwerden ausschaltet. Nur ein Problem kann der Geburtshelfer nicht klären: Soll man das Nabelschnurblut mit den Stammzellen darin einfrieren für den Fall, dass das Kind – in 5, 10 oder 20 Jahren – an Krebs erkrankt? Darüber gingen die Meinungen der Experten auseinander, sagt Scheele, „das müssen Sie aus dem Bauch entscheiden.“

Noch vor zwei Generationen, bevor es die Pille gab, kam der Nachwuchs als Naturereignis über ein junges Paar. Man gebar zu Hause oder im nächstgelegenen Krankenhaus, und mit Gottes Hilfe und Mutters Rat wurde aus zwei Menschen eine Familie. Heute erfordert das Kinderkriegen Entscheidungsarbeit. Die Paare an diesem Abend haben den folgenreichsten Entschluss ihres Lebens – mit wem und wann und ob überhaupt ein Kind kriegen – nach vielem Wägen und Kalkulieren hinter sich gebracht. Nun sollen auch das Wo und Wie der Menschwerdung nicht dem Zufall überlassen bleiben. Nie war die Zahl der Geburten in Deutschland so niedrig – und der Aufwand vor der Ankunft eines Kindes so hoch. Zu keiner Zeit wurden Paare so spät Eltern – und stimmten sich gleichzeitig derart früh in der Schwangerschaft darauf ein.

Eltern zu werden im Jahr 2003, das ist eine schwere Geburt und so widersprüchlich, wie vieles in diesem sehr modernen Land. Eine Geschichte zwischen umfassender Informiertheit und steter Verunsicherung, zwischen Hightech und der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, zwischen gehobenen Ansprüchen und gesunkener Leidenstoleranz.

„Verwirklichen Sie Ihren Traum!“, ruft die Hebamme in Heidberg bei der Führung durch die Kreißsäle. Vorbei sei die Zeit, als Frauen auf dem Rücken im Bett gebären mussten. Heute darf jede gebären, wie sie möchte: ob in der Wanne oder auf dem Hocker, hängend am Gebärtuch, rollend auf dem Petziball oder gemeinsam mit dem Mann, „im Lotterbett“ liegend. „Bekommen Sie Ihr Kind ganz nach Ihrem Gefühl!“ Doch mit dem Gefühl ist das so eine Sache, es ist oft schwer zu deuten und unberechenbar. Nicht der zuverlässigste Ratgeber also, um das große Projekt Kind zu planen, die Vor- und Nachteile zu vermessen.

Kein Schicksal mehr zu haben ist auch ein Schicksal. Und kein leichtes. Etwas im Angebot.


Nicola Wolfram wollte Kinder, so lange sie denken kann. Familie, sagt sie, das war für sie immer der „favorisierte Lebensentwurf“. Bei ihr zu Hause waren sie früher zu fünft, „eine glückliche Familie“, sagt sie, der sie viel von dem verdanke, was sie wurde. Bis vor kurzem arbeitete Nicola Wolfram als Geschäftsführerin einer großen Medienfirma. Sie traf Entscheidungen und wichtige Leute, war viel unterwegs, und dass sie gut verdiente, verrät die große Altbauwohnung in Hamburg-Eppendorf, wo die Einrichtung Ton in Ton abgestimmt ist und der Cappuccino aus der Maschine kommt.

Für Kinder war in Wolframs Welt lange weder Zeit noch Platz. Warum auch? „Ich studiere doch nicht bis 27, um dann auf Hausfrau zu machen.“ Und selbst wenn sich der Kinderwunsch immer mal meldete: Es fehlte der richtige Mann. Als alles stimmte – Stephan tauchte auf, die Karriere stand an einem Haltepunkt, und die Sehnsucht nach „etwas, das bleibt“ wurde immer stärker –, war sie 37 Jahre alt, älter als viele Erstgebärende, aber gerade in ihrer Schicht keine Ausnahme.

Die meisten Deutschen wollen Eltern werden. Einer Umfrage des Bundesforschungsministeriums zufolge halten nur zehn Prozent ein Leben ohne Kinder für erstrebenswert, 14 Prozent der Männer, 5 Prozent der Frauen. Doch die Entscheidung, den Kinderwunsch in die Tat umzusetzen, wird immer wieder verschoben. 20-Jährige antworteten, das beste Zeugungsalter sei mit 26 Jahren. Befragte zwischen 21 und 30 gaben als idealen Zeitpunkt 29 an, solche zwischen 31 und 40 Jahren schließlich 36. So wuchs die Gemeinde der über 34-jährigen Spätgebärenden in den vergangenen zwei Jahrzehnten von 1,3 auf 22 Prozent.

Zum Glück dauerte es nur kurz, bis Nicola Wolfram schwanger wurde. Als sie die Nachricht erfuhr, traf es sie dennoch wie ein Schlag. „Warum freust du dich nicht?“, fragte Stephan. „Was macht das Kind mit meinem Leben?“, fragte sich seine Frau. Und als sie ein paar Wochen vor dem Entbindungstermin aufhörte zu arbeiten, merkte sie, dass ihr das, was ihr im Job noch vor kurzem zunehmend „schal und oberflächlich“ vorkam – die vielen Leute, die Sitzungen, die Reisen –, doch ziemlich wichtig war. Da traf es sich gut, dass das Kind, auch wenn es noch nicht da war, Mutter wie Vater zu beschäftigen begann.

Immer locker bleiben

„Halten, halten, halten uuuund locker lassen!“ Zwei Dutzend schwangere Frauen sitzen im Kreis und spüren ihrem Beckenboden nach. „Halten, halten uuuund locker lassen!“ Die Männer spüren mit und kreisen unter „Ah“-Rufen mit den Armen, wenn es gilt, die Durchhaltekraft bei der Geburt zu trainieren. Der Raum im Hamburger Geburtshaus ist mit Decken, Matten und Stillkissen ausgelegt. Über den Köpfen dreht sich ein Ventilator.


In sieben Doppelstunden stimmen sich die Paare, alle zwischen Ende 20 bis Ende 30, mit Gymnastik auf die große Stunde ein. Wer wenig Zeit hat, wählt das Kompaktprogramm am Wochenende. Zwischen den Übungen erläutert eine Hebamme variantenreich die biologischen Details der Geburt. Mal schraubt sie eine Puppe langsam durch ein Kunststoffbecken, mal zeigt ein Film, wie die „Eröffnungsphase“ in die „Übergangsphase“ mündet und am Ende der „Austreibungsphase“ ein neuer Mensch auf die Welt kommt. Einige im Raum schauen am Ende des Films, wenn es nass und blutig wird, etwas zur Seite. Immerhin: Als Oswald Kolle 1967 im „Aufklärungs“-Film Helga erstmals öffentlich eine Geburt zeigte, trug man Männer noch ohnmächtig aus dem Kino.

Wer das Hamburger Geburtshaus betritt, taucht ein in die Welt der sanften Medizin, für die der Mensch in der Phase der Familiengründung besonders empfänglich zu sein scheint. Am Schwarzen Brett werben Anbieter für Hypnose, Massage und Bauchtanz für Schwangere. Auf einem Bord daneben stehen in kleinen Fläschchen Öle und Essenzen zur Dammmassage und gegen Schwangerschaftsstreifen nach den Rezepten der Hebamme Ingeborg Stadelmann. 270000-mal hat sich ihr Buch Die Hebammensprechstunde verkauft. Ein stiller Bestseller, herausgebracht im Selbstverlag.

Ob alternativ angehaucht, wissenschaftlich nüchtern oder voyeuristisch verkitscht – nie konnten Schwangere auf so viele Experten, Ratgeber, TV-Serien (Schnulleralarm, Hallo Baby) und Spezialzeitschriften zurückgreifen. 1281 Titel wirft der Internet-Buchhandel Amazon beim Stichwort „Geburt“ aus. Nur eine Informationsquelle, für Jahrtausende die wichtigste, wird kaum genutzt: Das Wissen der eigenen Mutter rangiert abgeschlagen auf Platz vier nach Freunden, Büchern und Zeitschriften, wie eine Studie der Universität Osnabrück ergab.

Stephan Wolfram hat ebenfalls viel gelesen – „auszugsweise“, wie er sagt. Beim Vorbereitungskurs war er an zwei Männerabenden dabei. Das ganze In-sich-hinein-Atmen dort fand auch Nicola Wolfram „etwas esoterisch“. Sie wollte hauptsächlich „ihr Körpergefühl trainieren“. Zudem hatten die Sitzungen mit anderen Schwangeren etwas Beruhigendes. Es war eine Bestätigung, „etwas getan zu haben“, statt einfach nur zu warten. Zusätzlich buchte sie ein paar Akupunkturstunden als Prophylaxe gegen den Schmerz.


Pragmatisch seien die Frauen geworden, sagt Rosemarie Wetscher. „Die Zeit der Ideologien ist in der Geburtshilfe vorbei.“ Wetscher arbeitet als Redakteurin bei der Zeitschrift Eltern. Der publizistische Wehenschreiber der Nation hat viele Schwangere in den vergangenen 40 Jahren begleitet. Von den Sechzigern, als Mütter ihr Neugeborenes nur alle vier Stunden „zum Anlegen“ bekamen und Väter das Kind durch eine Glasscheibe sehen durften; über die siebziger und achtziger Jahre, als die kalte Krankenhausmedizin in Misskredit geriet und die „natürliche Geburt“ mit Wehenschmerz und Muttermilch wieder in Mode kam, als Männer in die Kreißsäle drängten und Frauen auf die Idee kamen, ihr Kind in der Badewanne zu gebären.

Heute werden die Neugeborenen den Müttern sofort auf den Bauch gelegt, und eine Geburt, bei der der Mann nicht dabei sein will, ist fast ein Anlass zur Trennung. Die Klinik jedoch ist der Geburtsort der Wahl geblieben. 98 Prozent der Kinder kommen hier zur Welt, wo die Kreißsäle heute bunt gestrichen sind und Gardinen haben. Das ist der neueste Trend: im Krankenhaus gebären, ohne sich im Krankenhaus zu fühlen. Natürlich – und doch medizinisch sicher.

Im Hamburger Heidberg-Krankenhaus gibt man sich besondere Mühe. Denn die Geburtenzahlen sinken, die Konkurrenz ist groß. „Da sind wir gut beraten zu schauen, was die Frauen wollen“, sagt Geburtshelfer Scheele. Keine Frau auf der Wöchnerinnenstation wird für Visite oder Frühstück geweckt; beim Schichtwechsel kommen die Schwestern ans Bett, als „Zeichen der Transparenz“. Und weil die Ehepartner seit einiger Zeit kostenlos im Einzelzimmer mitschlafen dürfen, trifft man mitunter auf der Frauenstation Männer in Unterhose. Im Kampf um die Kinder wird die Geburtshilfe zur Servicemedizin. Die Strategie hat Erfolg. Gegen den Trend gehen die Entbindungen in Heidberg in die Höhe.

„Die Frauen von heute wägen die Angebote kritisch ab und wählen, was ihnen nützt“, sagt Eltern- Redakteurin Wetscher. Was nicht heiße, dass sie die Geburt weniger wichtig nähmen. Im Gegenteil: Die meisten Paare inszenierten die Ankunft des Kindes in Gedanken als „großen emotionalen Bringer“; sie träumen von einem herausragenden Glückserlebnis, „bei dem der Mann weinen muss und die Mutter sich wie im siebten Himmel fühlt“. Häufiger als früher erreichen die Eltern- Redaktion Schreiben von verstörten Frauen, die fragen, ob sie eine schlechte Mutter seien, weil sie nach der Geburt so fertig waren, dass die Glücksgefühle auf sich warten ließen.


Und noch andere Briefe kommen, die es früher so nicht gab: „Was bedeutet es, wenn meine Frauenärztin sagt, das Fehlbildungsrisiko sei von 1:200 auf 1:15 gestiegen?“ Nichts hat Schwangerschaft so verändert wie die Fortschritte der Pränataldiagnostik. Drei Ultraschallbefunde, ein Bluttest bei der Mutter, im Verdachtsfall Kontrolle des Mutterkuchens oder Fruchtwassers gehören zum Standardangebot vorgeburtlicher Untersuchungen. Aus dem Zustand der guten Hoffnung ist ein neun Monate währendes Risiko geworden. Schon vor der Geburt ordnet der Mutterpass vom Frauenarzt rund 70 Prozent aller Schwangeren einer Risikogruppe zu.

Bereits im ersten Drittel der Schwangerschaft sucht der Arzt nach Hinweisen auf mögliche Defekte, indem er per Ultraschall die Dichte der Nackenfalte des Kindes misst oder mit diversen Blutwerten das Behinderungsrisiko kalkuliert. Insgesamt zehn Gesundheitschecks des Fötus sieht der Mutterpass vor. Die meisten Schwangeren kommen auf mehr Untersuchungen, gerade, wenn sie über 35 Jahre alt sind und, wie Nicola Wolfram, auch noch privat versichert.

Für sie war es stets das gleiche Ritual: Auf dem Hinweg zur Untersuchung wuchs mit jedem Schritt die Furcht, die Ärzte könnten diesmal etwas finden. Auf dem Rückweg hätte sie vor Erleichterung schweben können. Sie hatte das Wunder in ihrem Bauch gesehen, wie es gewachsen war: vom pulsierenden Punkt zum kaulquappenartigen Gebilde zum zukünftigen Menschenwesen. Heute zieren die Ultraschallaufnahmen das Fotoalbum. Damals fragte sich Nicola Wolfram mitunter, „ob es überhaupt möglich ist, ein gesundes Kind zu bekommen“.

Manche werdenden Eltern können gar nicht genug bekommen von den verschneiten Bildern, auf denen mal ein Kopf, mal ein Arm, dann das Herz auftaucht. Sie würden das Ultraschallgerät am liebsten gegen den heimischen Fernseher eintauschen. Andere fühlen sich wie bei einem Examen, halten den Atem an, wenn der Arzt mit dem gelverschmierten Schallkopf den Bauch der Frau abtastet und mit Worten wie „in Ordnung“, „sieht gut aus“ oder „sehr schön“ Noten verteilt.

Auch das gab es früher nicht: Das Baby ist da, lange bevor es auf die Welt kommt. Gleichzeitig gehen viele werdende Eltern emotional auf Abstand zum zukünftigen Kind, um das Restrisiko einzukalkulieren, „dass doch etwas ist“. Das Wechselbad zwischen Nähe und Distanz ist besonders groß bei Frauen, die mit einer Fruchtwasseruntersuchung nach Fehlern im Erbgut ihres Kindes suchen lassen. Bei einer Umfrage der Universität Münster hielt jede dritte ihren Zustand bis zum Ergebnis der Untersuchung weitgehend geheim. Auch der Nestbautrieb stockt. Die Einrichtung des Kinderzimmers wird verschoben. Bloß kein stiller Raum, der, wenn es schief geht, jeden Tag an die Leerstelle im Leben erinnert.

Für Nicola Wolfram waren die Wochen um die Fruchtwasseruntersuchung eine Qual. Auf den Test zu verzichten kam nicht infrage. Nicht in ihrem Alter! Man könne doch in jedem Buch nachlesen, wie die Risikokurven nach oben zeigten, sagt ihr Mann. Zwei Wochen sollte es dauern, bis das Ergebnis vorlag. „Die Angst, dass die Ärzte etwas finden, machte mich kirre“, erinnert sie sich. Das waren die Tage, als sie träumte, das zweite kleine Herz in ihrem Körper habe aufgehört zu schlagen. Schließlich hielt die Schwangere das Warten nicht mehr aus und rief im Untersuchungslabor an. Sie erhielt keine Antwort. „Jetzt ist es passiert“, dachte sie.


Checkheftgepflegt

1976, als die Krankenkassen die Kosten für die Fruchtwasseruntersuchung erstmals übernahmen, wurden 1796 Punktionen gezählt, heute sind es rund 80000 pro Jahr. Spricht man mit Frauen, die vor 40 Jahren Mutter wurden, können sich wenige an die Angst erinnern, ein geschädigtes Kind zu bekommen. Heute ist die Sorge um das Ungeborene zuverlässige Begleiterin der Schwangerschaft – obwohl die Hilfen so groß sind wie nie zuvor.

Denn es gelingt Ärzten immer besser, Fehlbildungen des Kindes bereits im Mutterleib zu erkennen. Ist der Fötus krank, kann man ihn mit Medikamenten versorgen, sein Blut austauschen und das Ungeborene im Uterus mitunter gar operieren. Und die Eltern können sich bereits vor der Geburt auf ein behindertes Kind einstellen – wenn sie es austragen.

„Wir hätten mit einem positiven Testergebnis umzugehen gewusst“, sagt Stephan Wolfram. Das Wort Abtreibung spricht er nicht aus. Die Mehrheit aller Paare entscheidet ähnlich. 90 Prozent von jenen, die den Befund Down-Syndrom erhalten, entscheiden sich für einen Abbruch. Die Abtreibung wegen Behinderung, einst ein Tabu, ist gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, ebenso wie es gebilligt wird, dass die Mehrzahl aller abgetriebenen Föten – im vergangenen Jahr waren es 130000 – gesund ist.

Den Wolframs blieb die Entscheidung erspart. Der ärztliche Freispruch kam mit einer Woche Verzögerung. „Alles in Ordnung.“ Da durfte die schöne Zeit beginnen zwischen Babymarkt, Kinderwagentest und der stolzen Präsentation des Bauches beim Sonnenbad. Kurz vor der Entbindung wurde noch geheiratet. „Eigentlich hatte ich eine tolle Schwangerschaft“, sagt Nicola Wolfram. Keine Schmerzen, keine Blutungen – bis eines Nachts um zwei Uhr die Fruchtblase platzte und alle Lektionen des Vorbereitungskurses über den Haufen geworfen wurden.










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