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 Hartz4
Tanja31 Offline



Beiträge: 498

25.09.2007 13:31
Wie Kinder in deutschland mit Hartz4 leben Antworten

Kein Geld für Spielsachen, Schwimmbad oder Sportverein: Hartz-IV-Empfänger können ihren Kindern nicht viel bieten. Die Kinderarmut in Deutschland nimmt drastisch zu, in Berlin lebt schon jedes fünfte Kind von Sozialgeld. Zum heutigen Weltkindertag eine Reportage aus dem Alltag verzweifelter Familien.

Es gibt vieles, auf das die Hartz-IV-Empfängerin Claudia Ruschke stolz ist. Darauf, dass ihre Wohnung stets ordentlich ist, wenn sie das Haus verlässt. Oder darauf, dass ihre Kinder, die 14-jährige Cindy und der neunjährige Maximilian, sie noch nie um Taschengeld gebeten haben. „Meine Kinder sind nicht anspruchsvoll“, sagt die 41-jährige Frau mit den dunklen kurzen Haaren. Fast jeden Tag kommt Claudia Ruschke mit ihren Kindern in das christliche Jugendzentrum „Die Arche“ im Berliner Ost-Bezirk Hellersdorf, um dort kostenlos zu Mittag zu essen. Es ist keine leichte Aufgabe, stolz zu sein, wenn man offiziell zu den Verlierern der Gesellschaft zählt. Knapp 3,8 Millionen deutsche Haushalte leben derzeit von Hartz IV. Davon sind auch rund 1,9 Millionen Kinder unter 15 Jahren betroffen. Einer Studie des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) zufolge ist ihre Zahl in nur einem Jahr um zehn Prozent gestiegen. Besonders schlimm ist die Kinderarmut in Berlin: Hier lebt jedes fünfte Kind von Sozialgeld oder sonstigen Transferleistungen.

Unterstützung ist zu gering Dass Kinderarmut eines der drängendsten Probleme der heutigen Zeit ist, darüber herrscht in der Politik wie selten Einigkeit. Nicht aber darüber, wie man sie effektiv bekämpfen kann. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) will den Kinderzuschlag ausweiten, also jene maximal 140 Euro, die Geringverdienern mit Kindern gezahlt werden, damit sie nicht Hartz IV beantragen müssen. Dagegen plädiert Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) dafür, den Zuschlag in ein Gesamtkonzept für Geringverdiener zu integrieren. Familienverbände und die Linksfraktion fordern eine Erhöhung des Eckregelsatzes von Hartz IV. Der liegt momentan bei 347 Euro pro Monat. Auch Miete und Nebenkosten werden bei Hartz-IV-Empfängern vom Staat übernommen, sofern sie „angemessen“ sind, was regional unterschiedlich definiert wird. Kinder von Hartz-IV-Empfängern bekommen 60 Prozent des Regelbetrags, Jugendliche 80 Prozent. Viel zu wenig, klagen die Familienverbände. Von diesem Satz könne kein Mensch leben. Ein Blick in den Hartz-IV-Alltag zeigt: Man kann. Aber es ist extrem schwierig. Für die, die zusätzlich verschuldet sind, ist es ein aussichtsloses Unterfangen. 1653 Euro zum Leben Der Hellersdorferin Claudia Ruschke stehen für sich und die Kinder monatlich 1034 Euro netto zur Verfügung. Hinzu kommen noch einmal 308 Euro Kindergeld und das Arbeitslosengeld II des Freundes, 311 Euro. Insgesamt hat die Familie also 1653 Euro pro Monat. Davon gehen jeden Monat 563 Warmmiete für die 4-Zimmer-Wohnung ab, 70 Euro für den Strom, 39 Euro fürs Telefon und 60 Euro für eine Rentenversicherung. Die beiden Versicherungen, die Ruschke für die Kinder abgeschlossen hat, kosten noch einmal 56,75 Euro monatlich. Außerdem leistet sich die Familie einen zehn Jahre alten Polo, der noch einmal rund 100 Euro für Versicherung und Benzin kostet.

Mutter und Kinder haben zusätzlich noch ein Monatsticket für Bus und Bahn, Kostenpunkt: 77,50 Euro. Rund 200 Euro gibt die Familie im Schnitt für Schuhe und Kleidung aus, etwa 11 Euro für den Friseur. 30 Euro kostet die monatliche Kreditabzahlung für die neue Couchgarnitur. Maximal 200 Euro gibt Claudia Ruschke für Lebensmittel aus. Das ist nur möglich, weil sie täglich mit ihren Kindern im christlichen Jugendzentrum „Die Arche“ umsonst zu Mittag isst. Ein- bis zweimal pro Monat steht sie auch im Hellersdorfer Zentrum an, wenn eine Hilfsorganisation kostenlos Lebensmittel verteilt. Auf diese Weise bleiben den Ruschkes rund 250 Euro. Aber auch diese sind schnell aufgebraucht, wenn für die Schule neues Material gekauft werden muss oder die Waschmaschine kaputt ist. Trotzdem kommt die Familie einigermaßen über die Runden. Fürs Kino, den Sportverein, einen Besuch im Schwimmbad oder den Gameboy, den sich Sohn Maximilian so sehnlich wünscht, bleibt kein Geld übrig. Auch nicht für Taschengeld. Manchmal dürfen die Kinder leere Flaschen zurückbringen und das Pfandgeld behalten. Das muss reichen. Mit 25 Jahren ist das Leben vorbei Claudia Ruschke und ihre Familie sind keine typischen Hartz-IV-Empfänger: Sie ist seit 1992 mit ihrem Freund zusammen, der der Vater beider Kinder ist. Die Versicherungen für ihre Kinder zeigen, dass sich die Familie noch einen Glauben daran bewahrt hat, dass es einmal besser werden wird. Es ist auch an der Freude zu spüren, mit der die Hellersdorferin erzählt, dass sie demnächst in der „Arche“ eine Stelle bekommt. Als Küchenhilfe für 1,50 Euro die Stunde. Dass es in vielen Hartz-IV-Familien anders zugeht als bei den Ruschkes, hat Wolfgang Büscher erlebt. Büscher ist Sprecher der „Arche“. Gemeinsam mit dem Gründer der Arche, dem Pfarrer Bernd Siggelkow, hat er außerdem ein Buch über Kinderarmut geschrieben, das gerade erschienen ist. („Deutschlands vergessene Kinder“). „Viele der Frauen, die hierher kommen, haben mit 18 schon zwei bis drei Kinder gehabt“, sagt er. „Mit 25 hören sie quasi auf zu leben.“ Viele Familien würden sich einfach aufgeben, die Verelendung hinnehmen und sich auch nicht mehr um ihre Kinder kümmern. Büscher hat Jugendliche erlebt, die im Winter in kurzen Hosen in die Arche kamen, weil sie keine langen Hosen hatten. Er hat Vierjährige getroffen, die als Berufswunsch „Hartz IV“ angaben. „Hier entwickeln sich regelrechte Hartz-IV-Dynastien“, sagt er. Die Folgen davon bekommt die „Arche“ täglich zu spüren. Seit der Einführung von Hartz IV hat sich die Zahl der Kinder, die hier täglich herkommen von 200 auf 600 erhöht. Rund 500 kostenlose Mahlzeiten gibt die Arche täglich aus.

High-Tech statt Essen Die gesellschaftliche Diskussion gehe oft am Kern des Problems vorbei, sagt Büscher. Zwar sei richtig, dass die Regelsätze die das Sozialgesetzbuch für Kinder von Hartz-IV-Empfängern vorsehen, nicht ausreichten. Nur die finanzielle Unterstützung zu erhöhen oder auszuweiten, etwa beim Kinderzuschlag, sei jedoch der falsche Weg. „Viele unserer Familien geben das Geld einfach falsch aus“, sagt Büscher. Statt in neue Kleidung werde dann eben in einen Flachbildfernseher investiert. Er plädiert deshalb dafür, Leistungen auszubauen, die den Kindern direkt zu Gute kommen – Gutscheine für Sportvereine und Nachhilfeunterricht oder kostenloses Schulessen. Auch Andrea Thiel geht jeden Tag mit ihren Kindern, den zehnjährigen Zwillingen Florian und Yasmin, zum Mittagessen in die „Arche“. Auch sie wohnt wie Claudia Ruschke in einer Vier-Zimmer-Wohnung in Hellersdorf. Aber im Gegensatz zu den Ruschkes reicht der Familie Thiel das Geld ganz oft nicht bis zum Monatsende. Das hat zwei Gründe: Zum einen erhält sie von ihrem Mann, von dem die 46-Jährige seit sieben Jahren getrennt lebt, keinen Unterhalt. Denn der ist selbst Hartz-IV-Empfänger. Zum andern muss Thiel jeden Monat 300 Euro für Schulden abzahlen, die noch aus der gemeinsamen Ehe-Zeit stammen. Wenn gegen Monatsende wieder einmal kein Geld da ist, muss die Familie zu Fuß in die Arche laufen, statt mit der U-Bahn zu fahren. „Wir sind schon jetzt am Überlegen, wie wir das mit Weihnachten hinkriegen“, sagt Thiel. Bessere Bildungschancen für Reiche? „Geld ist das Existenziellste, was wir haben – ohne Geld keine Grundversorgung und keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“, sagt Reinhild Mersch vom Caritas-Projekt „HOT“ in Coesfeld. Die 2000 gegründete Initiative des Wohlfahrtsverbands, hinter deren Kürzeln sich das – patentierte - Wortungetüm „HaushaltsOrganisationsTraining“ verbirgt, hat zum Ziel, Familien zu helfen, die nicht in der Lage sind, ihren Haushalt und Alltag selbst zu organisieren. Dazu gehört auch eine Beratung zum richtigen Umgang mit Geld. Zu den Klienten von Mersch und ihren Mitarbeitern gehören viele Hartz-IV-Empfänger. Natürlich gebe es Arbeitslose, die durch Handyverträge und Ratenkauf in die Schuldenfalle gerieten. Oder jene, denen die HOT-Mitarbeiter dringend empfehlen, ihren Kindern ein Butterbrot zu kaufen, statt das Geld für Zigaretten auszugeben. Allerdings macht Mersch auch häufig die Erfahrung, dass selbst bei Familien, die gut haushalten, das Geld oft nicht mehr bis
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Familie Hartz IV Arbeitslosigkeit Armut Schulden Ursula von der Leyen Franz Müntefering zum Ende des Monats reicht. Mit weit reichenden Folgen: Dem Kind bei Schulproblemen die Nachhilfe zu bezahlen sei für ALG-II-Empfänger undenkbar. Schon die kleinste Störung wie etwa eine kaputte Waschmaschine, könne das ganze System zum Zusammenstürzen. Bei der Caritas haben sich die Anträge auf Spenden seit der Einführung des Arbeitslosengeldes II verdoppelt. Bei einigen Schuldnerberatungsstellen des Verbandes ist der Andrang inzwischen so groß, dass es lange Wartelisten gibt.

Hartz-IV-Empfängerin Andrea Thiel hat schon lange aufgehört, an die eigene Zukunft zu glauben. Um ihre Tochter Yasmin macht sie sich hingegen keine Sorgen: „Sie kann Modell werden oder heiraten.“ Aber Sohn Florian möchte Archäologe werden. Nun fürchtet die Mutter, auch beim dafür notwendigen Abitur könnte ihre Armut eine entscheidende Rolle spielen: „Kinder von Reichen, die werden durchgemogelt, die kommen immer zu ihrem Studium“, glaubt sie.

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